Inhalt: 

Lebenseile 7

Wanderung durch die Jahreszeiten 9

Schönheit und Reife 18

Der Straßenmusikant 19

Ein Nachmittag im September 20

Jung sein ist anders 21

Storchenschnee 26

Auf der Burg 27

Ein Wort des Tages 34

Die Weinprobe 35

Umbria meravigliosa 38

Begegnung in der Nacht 40

Urnkehrung der Werte 46

Auf dem Kreuzberg 48

Frühling 53

Das weiße Pferd 54

Unmut am Morgen 68

Der Zeitnotstand 69

Erstaunen 74

Unterrn Klosterdach 75

Sommersymphonie 83

Schlitzohren 84

Sommer 88

Der Herrgottswinkel 89

Sein Werk 94

Begegnung mit der Einsamkeit 95

Tod am Morgen 99

 

 

Wanderung durch die Jahreszeiten

Ich war auf dem Weg ins Tessin, doch erst einmal mußte ich über den Gotthard. Der Morgen war trüb und herbstlich kalt, obwohl es bereits Mitte Mai war, als ich in Göschenen am nördlichen Füße des Gotthards startete.

Nachdem ich den grauen Ort verlassen hatte, führte mich der Weg über eine reizende alte Steinbrücke, über die auch Goethe schon gefahren sein soll.

Kehre um Kehre leiteten mich immer höher hinauf. Einmal an den Galerien der Passtraße entlang, dann wieder hoch über diesen.

Tief unter mir dröhnte die Reuss ihr ewiges Lied.

 

Die Felsen rückten näher, zwangen meinen Weg in eine Schlucht, bis nur noch ein schmaler Steg hoch über der Reuse am Fels entlang führte. Wasser tropfte von den überhängenden Wänden. Zu allem Überfluß kam nun auch noch Nebel auf und Sprühregen setzte ein. Fröstelnd stellte ich den Kragen meiner Jacke auf. Es wurde immer düsterer. Das Brüllen der Reuß klang hohl und gespenstisch als ob die Geister der Berge mich aus ihrem Revier vertreiben wollten. Der Klang meiner Schritte vervielfältigte sich an den steilen Wänden der Schlucht. Mir war als marschierte eine ganze Armee hinter mir.

Immer wieder sah ich mich verunsichert um. Ich konnte mir jetzt gut vorstellen, warum die Leute früher so ungern über die Alpen reisten.

Eine alte Brücke überspannte mit kühnen Schwung die dampfende Schlucht. Das mußte die berühmte Teufels-brücke sein. Mir fiel die alte Sage ein, in der es heißt, daß ein Hirtenjunge den Teufel, durch einen Trick dazu gebracht haben soll, diese Brücke zu bauen. Auch Napoleon hatte diese Brücke benutzt.

Ein Tunnel nahm mich auf. Er soll einer der ältesten europäischen Straßentunnel überhaupt sein. Als ich den Tunnel wieder verließ, stand ich plötzlich auf einer Ebene, der Hochebene von Andermatt.

Erleichtert atmete ich auf und blieb stehen.

Der Nebel war verschwunden, so plötzlich jedoch, als würde eine beschlagene Fensterscheibe einfach abgewischt. Dafür wehte ein scharfer Wind, der mir die Tränen in die Augen trieb.

Die Hochfläche ist von hohen Bergen umgeben, doch da der Talkessel sehr großräumig ist wirkten sie nicht bedrückend. Mein Weg führte mich an der Ortschaft Andermatt vorbei zum südwestlichen Ende des Kessels zum Flecken Hospental mit seiner alten Burgruine.

Jeder Durchreisende sollte der nahen Kapelle einen Besuch abstatten. Sie ist zwar baulich nicht besonders sehenswert, jedoch der Spruch über dem Portal ist sehr interessant;

 

"Hier trennt der Weg, oh Freund.

Wohin gehst Du?

Willst Du zum ewigen Rom hinunterziehen?

Zum heiligen Köln, zum deutschen Rhein?

Nach Westen, weit ins Prankenland hinein?"

 

Hier war und ist im kleinerem Maße auch heute noch seine Drehscheibe des europäischen Verkehrs. - Nach Westen über den Grimselpass zur Rhonequelle. Nach Osten über den Oberaippass zur Quelle des Rheins. Nach Süden über den Gotthard nach Italiens

Nach ausgiebiger Rast nahm ich meinen Rucksack wieder auf und ging weiter aus dem Tal hinaus nach Süden, immer stetig bergan, dem Gotthard entgegen. Die Höhe des Passes war hinter einer Wolkenwand verborgen.

Je höher ich aufstieg, desto kälter wurde es. Kurz entschlossen warf ich meinen Rucksack ab und kramte ein Paar Handschuhe, eine Pudelmütze und einen Schal heraus. Kaum hatte ich mich wintermäßig präpariert als es auch schon zu schneien begann. Erst ganz wenige Flocken hie und da. Übermütig fing ich sie auf und betrachtete sie interessiert wie ich es als Kind schon getan hatte, wenn der erste Schnee fiel. Später wurde der Schneefall immer dichter. Es wurde schwierig die nächsten Wegmar-kierungen zu finden, die Landschaft wurde weiß und somit die Sicht schlechter.

Was sollte ich tun?

Ginge ich weiter, liefe ich Gefahr mich im Schneetreiben zu verirren. Kehrte ich um, wäre die Wanderung geplatzt.

Hinter einem großen Felsbrocken suchte ich erst einmal Schutz. Ich zog die Wanderkarte hervor und informierte mich über meinen Standort. Bis zur Passhöhe waren es noch ungefähr eineinhalb Stunde zu gehen. Es wäre wirklich schade jetzt aufgeben zu müssen.

Sollte ich abwarten, ob der Schneefall aufhörte?

Lieber nicht! Ich könnte in die Dunkelheit geraten, dann wäre alles noch schwieriger.

Gab es denn keine andere Möglichkeit?

Ich schaute noch einmal in die Karte. Was wäre wenn ich auf der Passtraße weiterginge? Sie führte direkt auf die Passhöhe. Von meinem Standpunkt war sie auch nur einige hundert Meter entfernt. Ich entschloß mich es zu versuchen. So stapfte ich der Passtraße entgegen, denn der Schnee war mittlerweile schon knöcheltief.

Ich fand die Straße auf Anhieb, doch Hilfe konnte ich auch hier nicht erwarten, denn der Pass war noch für Fahrzeuge gesperrt. Gott sei Dank lag der Schnee hier nicht so hoch, der Wind, der eingesetzt hatte, wehte ihn von dem glatten Straßenbelag hinweg.

Ich ging weiter bergan. Je höher ich aufstieg, je mehr Schnee lag auf der Straße. Mühsam stapfte ich weiter. Links und rechts der Straße türmte sich der Schnee zu Schneewänden. Ich ging wie durch einen Tunnel. Plötzlich tauchten vor mir dunkle Schatten aus der weißen Wüste auf. Erschrocken blieb ich stehen. War es ein Felsen? Dann war ich von der Straße abgekommen, die ja auch nicht mehr als solche auszumachen war.

Oder war es das Hospitz auf der Passhöhe? Mutig ging ich darauf zu. Es war das Hospitz!

Als ich in den Gastraum kam, müssen die wenigen Leute, die an den Tischen saßen, mich für den Weihnachtsmann gehalten haben, denn ihre Gesichter waren ein einziges Fragezeichen. Allmählich schälte ich mich aus meinem Schneepanzer. Der Wirt kam erschrocken auf mich zu.

"Wo kommen Sie denn her?"

Weil mir im Moment nichts anderes einfiel antwortete ich ihm spontan: "Von drauß', vom Walde komm' ich her, ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr!"

Gelächter an den Tischen.

Der Wirt jedoch schien es gar nicht so spaßig zu finden. Er machte mir große Vorwürfe wegen meiner Leichtfertgkeit. Womit er ja nicht ganz unrecht hatte, denn jetzt im Nachhinein war mir auch nicht mehr ganz wohl dabei, wenn ich darüber nachdachte, was alles hätte passieren können.

Nachdem ich mich am Ofen erst einmal etwas aufgewärmt hatte, ging es mir wieder besser. Ein heißer Punsch tat sein übriges. In dieser Nacht schlief ich tief und traumlos.

 

Am anderen Morgen weckte mich ein Sonnenstrahl, der durch das niedrige Fenster in mein Gesicht fiel. Mit einem Sprung war ich auf den Beinen. Mein erster Blick aus dem Fenster galt dem Himmel. Er war strahlend blau, kein Wölkchen trübte ihn. Wenn der Tag so bliebe, würde er mich für alles entschädigen was der gestrige mir angetan hatte.

Nach dem Frühstück wollte ich direkt losstürmen, doch der Wirt dämpfte meinen Elan.

"Über die Via Tremola, der Straße des Zitterns, so wird die alte Passtraße genannt, können Sie aber nicht absteigen", sagte er ernst, "es wäre viel zu gefährlich für Sie."

Ich sah ihn verdutzt an. "Aber ich muß doch hinunter."

Er ging an einen Tisch, an dem drei Männer saßen, sprach mit ihnen italienisch. Es mußte gut für mich stehen, denn die drei Männer nickten eifrig. Er kam zurück.

"Also, die drei Männer dort sind heute morgen schon aufgestiegen. Sie können ihren Weg nehmen der ist relativ ungefährlich. Sie brauchen nur ihren Spuren zu folgen."

Erleichtert atmete ich auf. Ich nahm meinen Rucksack auf, bedankte mich beim Wirt für Speis und Trank und natürlich auch für den gute Rat, den er mir gegeben hatte.

Als ich das Haus verließ mußte ich meine Sonnenbrille aufsetzen. Myriaden von Schneekristallen reflektierten das Sonnenlicht so stark, daß die Augen schmerzten.

Die Spuren führten nach Süden der Sonne entgegen. Von der Landschaft war im Moment nicht viel zu sehen, denn links und rechts der Straße türmte sich der Schnee fast vier Meter hoch, der Schneehöhe eines Winters.

Was hatte der Wirt gesagt? Dort wo die Via Tremola nach links abbiegt, dort wäre der Fußweg ins Tal.

Plötzlich tat sich der Blick auf, der Blick ins Tal Leventina. Tief unten lag Airolo, meine nächste Etappe.

Vorsichtig setzte ich Schritt vor Schritt. Der lose Schnee gab etwas nach, so kam ich ganz schön ins Schwitzen. Langsam wurde der Schnee weniger, doch dafür naß und pappig, so daß ich bald schon feuchte Socken hatte.

Die Sonne schien warm und es roch nach Frühling. Und tatsächlich, nachdem ich etwa dreihundert Meter abgestiegen war, kamen die ersten dunklen Flecken zum Vorschein, der Schnee bekam Löcher. Hier und da hatten Märzbeahorden Boden durchbrochen und schwangen ihre Blütenglocken im Wind. An den ersten Sträuchern wedelten Haselkätzchen.

Plötzlich war der Schnee verschwunden nur ab und zu, meist hinter einen Felsvorsprung, wo die Sonne den Schnee nicht weglecken konnte, waren noch einige weiße Flecken zu sehen. Hinter einer Wegbiegung blieb ich verdutzt stehen. Vor meinen Augen tat sich ein violett leuchtender Hang auf. Tausende und abertausende Krokusse wiegten sich im warmen Wind, der den Hang heraufstrich darüber der azurblaue Himmel. So etwas Schönes hatte ich noch nie gesehen. Bienen schwangen sich von Blütenkelch zu Blütenkelch, waren bemüht den Nektar zu bergen. Die ersten Vögel sangen ihre Strophen, auch sie huldigten dem Frühling.

Als ich einige Stunden später nach Airolo hinunter kam blühten dort bereits die Kirschbäume. Ich setzte mich in ein Straßencafé und ließ mir die warme Sonne ins Gesicht scheinen. Fröhliche Menschen flanierten auf den Straßen. Keck schwangen die Mädchen ihre Röcke, Burschen pfiffen ihnen nach. Am liebsten hätte ich mit ihnen gepfiffen. Mir war als wäre der gestrige Tag ein Tag in einem anderem Leben gewesen.

Lange habe ich hier noch gesessen und geträumt. Erst als die Sonne hinter den Bergen versank und es empfindlich kühl wurde, machte ich mich auf, um ein Quartier zu suchen. Schon ein paar Straßen weiter fand ich eines.

 

Am anderen Morgen war ich schon sehr früh auf den Beinen. Es ließ mir keine Ruhe, ich mußte hinaus. Der Weg führte mich hoch über das Tal Leventina, tief unten brauste der Verkehr auf der Autobahn gen Süden, doch hier oben regierte der Frühling. Eidechsen huschten an Gemäuer entlang. Auch sie hatten ihr Festtagsgewand angelegt, waren bereit mit mir den Frühling zu feiern. In den bunten Wiesen stimmten die Zikaden ihre Instrumente, bereit die Synphonie zu beginnen. Ich hatte das Gefühl, alle waren nur dazu auf der Welt um mich zu beglücken. Ganz allmählich kam ich von der Höhe herunter. Je mehr ich Richtung Süden ging, desto weiter schritt der Frühling fort. Erst blühten die Apfelbäume. Später hatten sie schon Frucht angesetzt. Als ich nach zwei Tagen in Biasca ankam, blühte der Wein und die Kirschen waren schon reif. Der Sommer hatte begonnen.

Als ich am Ende der Woche in Lugano ankam, habe ich im See gebadet.

  

 

Schönheit und Reife

 Den Blütentraum des Frühlings zerstob der Wind,

doch nun prangen, im milden Licht des Herbstes,

gold'ne Früchte auf dem stolzen Baum.

 

Der betörende Duft der sommerlichen Rose ist verweht,

doch nun leuchtet die pralle Schönheit der Hagebutte

aus dem vom Herbst gefärbten Laub.

 

Das leuchtende Blondhaar deiner Jugend ist ergraut,

doch der Glanz deiner Augen läßt mein Herz erglüh'n

wie den Baum im Frühlingstraum!  

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